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"Wir nehmen alles, was kommt und impfen, wie es sich gehört"

Unser neues Format #blickinszentrum nimmt euch mit in die Impfzentren Bayerns. Warum im Kreisverband Dachau ein neues Startup-Feeling ausgebrochen ist und in diesen Tagen fleißig Tee gebrüht wird, erfahrt ihr in unserer ersten Folge mit Kreisgeschäftsführer Paul Polyfka.

Paul, du bist für das Impfzentrum in Dachau zuständig. Wie geht's dir denn mit dieser Aufgabe?

Wir sind seit sieben Wochen einsatzbereit und die Lerneffekte sind nach wie vor groß, jeden Tag kommt etwas Neues. Leider sind wir nicht komplett ausgelastet, weil aktuell der Impfstoff fehlt. Es wurden aber bereits größere Mengen angekündigt, worauf sich hier alle Kolleginnen und Kollegen wirklich freuen.

Wieviele Kapazitäten hättet ihr und wieviel klappt aufgrund der Impfstoff-Knappheit wirklich?

Wir könnten hier 1.200 - 1.500 Impfungen pro Woche mit mobilem Team und Impfzentrum verimpfen - in einem Zwei-Schicht-Betrieb. Wir könnten sogar in einen Drei-Schicht-Betrieb gehen, dann wären wir bei 1.900 Impfungen pro Woche. Diese Zahlen erreichen wir natürlich bei Weitem nicht. Aktuell sind wir etwa bei 500 pro Woche.

Gibt es eine Prognose, wann es die volle Kapazität an Impfstoff geben wird?

Diese prophetische Leistung bekommst du von mir nicht. Erst am Samstag hatten wir um 12 Uhr hier eine Videokonferenz und haben einen tollen Plan für die Woche gemacht. Genau 23 Stunden später hieß es, der eine von den drei Impfstoffen kommt jetzt doch nicht. Wir nehmen alles was kommt und impfen, wie es sich gehört.

Welche Reaktionen bekommt ihr von den Menschen, die zu euch ins Impfzentrum kommen?

Vor allem ältere Menschen sind unendlich dankbar, weil sie tatsächlich für sich wieder ein bisschen mehr Freiheit entdecken. Das sind sehr freudvolle Begegnungen der Dankbarkeit. Die Kolleginnen und Kollegen am Check-Out  können gar nicht glauben, mit wieviel Herzlichkeit sie überschüttet werden.

Trotzdem fokussiert sich die Berichterstattung auf Themen wie: keinen Termin bekommen, überlastete Hotlines, der Impfstoff kommt nicht - und nicht auf  die 3.000 Leute, die bereits durch uns geimpft wurden. Und dabei sind genau das die Menschen, die diese Arbeit so herzerwärmend machen.

Wie schaut eigentlich dein Arbeitsalltag, der Arbeitsalltag eines Impfzentrum-Leiters aus?

Ich werde ganz stark gestützt von Organisationstalenten und engagierten Kolleginnen und Kollegen, ich kümmere mich um die Koordination. Ich sehe von meinem Bürofenster aus, wenn es einen Rückstau gibt. Dann kann ich nachschauen, woran das liegt und vielleicht den einen oder anderen Tipp geben.

Und woran liegt's?

Die älteren Herrschaften kommen gerne zu früh, im Extremfall kommt dann jemand um zehn nach acht, der eigentlich um neun einen Termin hätte. Das ist vor allem in der kalten Jahreszeit ungünstig. Jetzt wo es wieder sehr kalt wird, hat sich unsere Schnelleinsatzgruppe Betreuung bereit erklärt, an den sehr kalten Tagen Tee auszuschenken.

Das heißt, ihr kümmert euch gut um die Menschen, die zu euch zum Impfen kommen?

Das war meinem Team und mir ganz wichtig, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich nicht nur über die Impfung freuen, sondern auch über den schönen Rahmen der Impfung. Das ist sozusagen "Impfen Plus" beim BRK: Ankommen, angelächelt werden, Tee, Informationen und vielleicht den einen Ansprechpartner mehr bekommen.

Du hast ja bereits dein Team und die Organisationstalente darunter angesprochen. Wer sind die Menschen im und hinter dem Impfzentrum?

Angefangen hat's ja mit einem Push-Aufbau-Team. Das waren fünf Kolleginnen und Kollegen vom BRK, die die Aufgabe spannend fanden. Weihnachten hin oder her, Plätzchenbacken fiel für uns alle aus in diesem Jahr.

Durch eine geschickte Online-Kampagne konnten wir ganz viele Mitarbeitende neu für uns  gewinnen. Diese Menschen haben ganz verschiedene Hintergründe, arbeiten auf 450-Euro-Basis, in ihrer Elternzeit oder kommen aus dem Ehrenamt. Wir haben viele Ärztinnen und Ärzte die zum Beispiel aus dem Ruhestand kommen, Menschen die arbeitssuchend waren und jetzt bei uns einen temporären Anknüpfungspunkt haben. Da bin ich auch gerne bereit nach einer Perspektive im BRK nach der Zeit des Impfzentrums zu suchen.

Ihr seid ja inzwischen sieben Wochen im Einsatz mit dem Impfzentrum. Wie war es denn, dieses Impfzentrum hochzuziehen?

Hier entstand ein Startup-Feeling. Ruhephasen haben keine Rolle gespielt, wir haben uns wirklich bewusst ausklinken müssen, dass wir zumindest den 25. Dezember nicht in der Aufbauphase verbringen. Diesen Aufbau innerhalb von einer Woche hochzureißen und danach auf hohem Niveau an Verbesserungen zu arbeiten war schon sehr anstrengend und gleichzeitig sehr beflügelnd. Ich bin den Kolleginnen und Kollegen, die mich begleitet haben, sehr dankbar. Das war eine Herkulesaufgabe.

Gibt es besondere Erlebnisse, die du gerne deiner Familie und deinen Freunden erzählst?

Oh ja - am 27. Dezember gab es ja den europäischen Auftakt und ein tolles Erlebnis für das Rotkreuz-Herz: Als erster im Landkreis Dachau wurde der sehr geschätzte Horst Oschmann geimpft. Jetzt fragt man sich natürlich: Wer ist Horst Oschmann? Er ist ein 92-jähriger Mann, der mein Vor-Vor-Vor-Vorgänger war. Er hat sich sehr gefreut, dass er der Erste sein durfte, der geimpft wird - und zwar in einem Raum des Gebäudes, das er selber erbaut hat. Und die Rotkreuzler, die dabei waren haben sich alle mitgefreut. 

Wenn du dir etwas von der Regierung, von der Gesellschaft, von der Welt wünschen dürftest, was wäre das?

Ich wünsche mir, dass die Motivation der Menschen ausgeprägt genug ist, sich impfen zu lassen, damit wir im Sommer, im Spätherbst oder nächstes Jahr im Frühjahr als Gesellschaft wieder stärker zusammenwachsen können. Es gibt Leute, die möchte ich wieder umarmen, weil sie mir so viel bedeuten. Es gibt sehr viel Unsicherheit, das macht kein gutes Miteinander, das prägt uns als Zivilisation nicht. 

Und mein ganz großes Szenario: Mit Leuten beim Dachauer Volksfest gescheid anfeiern zu können.