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Ein Jahr Krisenfall: „Immer flexibel bleiben und die Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen“

Am 14.03.2020 rief das BRK den Krisenfall aus, bisher konnte er noch nicht beendet werden – ein Jahr ist vergangen und wir befinden uns noch immer im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Mit Krisenmanager Leonhard Stärk und Krisenstabsleiter Daniel Pröbstl lassen wir dieses außergewöhnliche Jahr Revue passieren und blicken in die Zukunft.

1.   Wie geht es Ihnen heute mit der Situation und wie haben Sie sich vor einem Jahr gefühlt?

Leonhard Stärk: Die Arbeit im Krisenstab hatte schon ein paar Tage zuvor begonnen und ich konnte die Dimension, die die Pandemie annehmen würde, am Anfang noch gar nicht richtig bewerten. In einem Jahr haben wir viel dazugelernt. Heute fühle ich mich routiniert im Krisenmanagement - aber es macht mir auch Sorgen. Die Routine, mit der man sich an schlimme Dinge gewöhnt, ist erschreckend.

Daniel Pröbstl: Die Situation zwischen dem Beginn des Krisenfalls und heute hat sich maßgeblich verändert. Die Pandemie, die Aufgaben und die Strategien haben sich verändert, und wir als BRK haben uns weiterentwickelt, sind leistungsfähiger geworden und sehr eng zusammengerückt. Heute ist auch nach einem Jahr unsere Arbeit durch die Geschwindigkeit und die Aufgabenvielfalt geprägt.

2.    Schutzausrüstung war zu Anfang Mangelware – jetzt sieht die Lage besser aus, Material ist vorhanden, der Freistaat hat ein Pandemiezentrallager angelegt. Ist das Thema damit erledigt?

Leonhard Stärk: Nein, noch nicht, aber die Lage ist heute entspannter. Wir haben die Logistik umgestellt und die Zuläufe gesichert. Das Thema Schutzausrüstung war eine Art Achillesverse - wenn das nicht geklappt hätte, wären bittere Vorwürfe gekommen. Ich habe mir zu dieser Zeit wirklich große Sorgen gemacht. Der Gedanke, dass Cent-Artikel wie Masken oder Handschuhe nicht ausreichend vorhanden waren und unsere Rettungskräfte möglichweise ohne Schutz ausrücken, hat mich nicht mehr ruhig schlafen lassen. Wir haben gesammelt was ging, die ersten Kisten lagerten in Büros, wir haben sogar bei OBI in Hamburg bestellt.

Daniel Pröbstl: Gott sei Dank hat sich die Lage aber verbessert, sodass ausreichend Material vorhanden ist. Unser Team „S4“ (Sachgebiet 4, Beschaffung) hat gemeinsam mit der H+DG den Markt und die Verbräuche immer im Blick, so dass wir in der Lage sind, mögliche Engpässe vorherzusehen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

3. Der Krisenstab hat sich stetig an neue Gegebenheiten angepasst – was waren wichtige Meilensteine?

Leonhard Stärk: Am Anfang waren wir in den Räumen der LGST eng in Besprechungsräumen zusammengesessen, heute unvorstellbar. Ab Ende März konnten wir mit dem Krisenstab in den O2-Tower der Telefonica AG, für diese Unterstützung waren wir sehr dankbar! Unser Wasserwacht-Chef Ingo Roeske hat uns das ermöglicht. Das Gebäude war zu dem Zeitpunkt leer, weil alle im Home Office waren, und wir konnten die größeren Räume und die dortige Technik nutzen.

Daniel Pröbstl: Im BRK sind wir auf große Einsätze vorbereitet, eine globale Pandemie stellt einen jedoch immer vor Herausforderungen. So war es notwendig, dass wir zum Schutz der Einsatzkräfte diese Räumlichkeiten genutzt haben, um das Infektionsrisiko auf ein Minimum zu reduzieren.

Leonhard Stärk: Jetzt findet der Krisenstab komplett virtuell statt – aktuell einmal pro Woche, wobei zwischen den Sitzungen auch Abstimmungen stattfinden. Wir sind immer in der Lage wieder hochzufahren. Ich traue mir zu in wenigen Stunden ein Team einzuberufen. Immer flexibel bleiben und die Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen waren große Erkenntnisse. Genauso wie wichtig persönliches Vertrauen zu den Personen ist, mit denen man zusammenarbeitet.

Daniel Pröbstl: Der gesamte Einsatz ist für mich von großen und kleinen Erfolgen geprägt. Insbesondere die hervorragende Zusammenarbeit mit den anderen Hilfsorganisationen und das Arbeiten Hand in Hand mit dem Freistaat Bayern haben gezeigt, dass wir als BRK in einer Pandemie mit globalem Ausmaß unsere Kompetenzen vielseitig einsetzen können.

4. Im Sommer dachten wir alle es geht bergauf, doch mit den Ferien kamen die Teststationen. Innerhalb von einem Tag hat das BRK 5 Stück an den bayerischen Grenzen aus dem Boden gestampft. Wie meistert man diese Hürden in so kurzer Zeit? Auf was kommt es an?

Leonhard Stärk: Ich erinnere mich gut an den 16. Juni 2020, als der Katastrophenfall in Bayern aufgehoben wurde. Es herrschte regelrecht Euphorie, auch bei uns. Zu den Teststellen: so etwas meistert man nur im Verband.

Daniel Pröbstl: Die Schlüssel zum Erfolg sind ein hervorragendes Netzwerk der einzelnen Krisenstäbe, die Verfügbarkeit der Leitungs- und Führungskräfte auf allen Verbandsebenen und hochmotivierte Einsatzkräfte in den Kreisverbänden.

Leonhard Stärk: Auf unser Ehrenamt kann man sich verlassen, aber man darf so eine Hauruck-Aktion nicht allzu oft machen und besonders nicht, wenn der vermeintliche Notfall eigentlich keiner ist. Bei einer Schneekatastrophe ist das klar, aber bei den Teststellen muss man im Rückblick feststellen, dass ein paar Tage mehr Vorbereitung die Pannen verhindert hätten, an denen wir ganz sicher nicht schuld waren. Manchmal frage ich mich „Hätten wir nicht Nein sagen müssen?“ oder zumindest die Zeit der Vorbereitung verlängern müssen?

5. Aktuell stehen Impfen und Schnelltests auf dem Programm – welche Erfolge kann man hier feiern und wo hapert es noch?

Leonhard Stärk: Zu unseren Erfolgen zählen, dass wir 42 Impfzentren und mehr als 50 Teststationen für PCR-Tests betreiben. Da machen wir in Haupt- und Ehrenamt einen guten Job.

Daniel Pröbstl: Wir konnten uns in kürzester Zeit zu einem verlässlichen Partner in der bayerischen Impfstrategie entwickeln. Der verfügbare Impfstoff wird nach den Vorgaben des Bundes und Landes in der Bevölkerung verimpft, so dass das Ziel der Immunisierung der Bevölkerung stetig näher rückt.

Leonhard Stärk: Auch die Weihnachts-Testaktion war ein voller Erfolg – wir beweisen mit alledem dem Freistaat und der Gesellschaft, dass wir schnell und kompetent reagieren. Aber man muss auch die Kapazitätsgrenzen sehen, das kann nicht ewig so weitergehen. Interessant wird auch die Entwicklung rund um das Thema Impfen bei den Hausärzten.

Daniel Pröbstl: Problematisch sind oftmals bürokratische Hürden und Strategieänderungen seitens der Politik, die folglich ein schnelles Handeln und Anpassen unserer Strukturen erfordern. 

6. Sind Sie bereits geimpft?

Leonhard Stärk: Ja, die erste Impfung habe ich aufgrund einer Vorerkrankung schon bekommen. Mir wurde der Impfstoff von AstraZeneca verabreicht, bis jetzt hatte ich keine Nebenwirkungen.

Daniel Pröbstl: Auch ich bin bereits geimpft, da ich ehrenamtlich im Rettungsdienst tätig bin.

7. Blicken wir in die Zukunft – was denken Sie, wie es in einem Jahr im März 2022 aussehen wird? Corona wird vermutlich noch auf dem Tisch sein: Was wäre der Best Case und was der Worst Case?

Leonhard Stärk: Der Worst Case für mich wäre, dass wir im gleichen Modus wie heute sind. Ein Krisenmodus mit neuen Anforderungen. In jedem Fall wird das Virus noch da sein. Der Best Case sieht für mich so aus, dass wir Normalbetrieb haben, viele Menschen geimpft sind und es Medikamente gegen COVID-19 gibt. Ein normales Leben ohne Einschränkungen und ein Verband, der die Krisenfolge gut bewältigt und keinen dauerhaften Schaden genommen hat.

Daniel Pröbstl: Im besten Fall konnten wir einen Großteil der Bevölkerung mittels Impfung immunisieren und die Verbreitung des Virus und seiner Mutation einschränken. Die Sterberate ist maßgeblich zurückgegangen und wir können in ein Leben zurückkehren, wie wir es vor der Pandemie gewohnt waren. Die Sensibilität und Weitsicht der Bevölkerung sollte gewachsen sein. Im schlechtesten Fall werden nur wenige Menschen geimpft, Mutationen breiten sich aus für die kein Impfschutz vorliegt und der Zustand, in dem wir uns derzeit befinden, muss aufrecht erhalten werden, um schlimmere Schäden von der Bevölkerung abzuwenden.