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„Die Reserven sind am Ende“

Nach dem ersten Lockdown hat sich Lea Erhard, Erzieherin und Einrichtungsleitung mehrerer BRK Kitas, zur Kinderschutzfachkraft weitergebildet. Warum dieser Schritt nötig war und welche Dimension die Kindeswohlgefährdung angenommen hat.

Wie ist die Auslastung in der Notbetreuung?

Ungefähr 50% der Kinder haben Anspruch darauf und sind auch hier. Normalerweise betreuen wir 45 Kinder, jetzt eben nur die Hälfte.

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie, insbesondere die Lockdowns auf die Kinder aus?

Nach dem ersten Lockdown, ab Juli 2020, als die Kinder zurück in die Kitas kamen, hatten wir krasse Fälle. Das ging bis zur Inobhutnahme. Die Eltern waren so überfordert zuhause, die Kita ist einer sozial schwachen Gegend, es wurden Kinder aus Familien herausgeholt. Ich kann mich an ein Mädchen erinnern, das mich angesehen und gesagt hat: „Papa hat mich beim Frühstück geschlagen.“ Das war eine ganz andere Dimension. Da habe ich mich zur Weiterbildung als Kinderschutzfachkraft entschieden, um schneller handeln zu können.

Wie sieht die Situation jetzt aus?

Ich hatte den Eindruck, dass es nach dem ersten Lockdown noch ein paar Reserven gab, die sind aber jetzt am Ende. Wir haben zwar viel mit den Eltern telefoniert, aber trotzdem würden viele nie äußern, dass sie überfordert sind – auch in der Mittel- oder Oberschicht. Da muss man die perfekte Familie abgeben. Der Medienkonsum ist stark angestiegen, weil sich die Eltern nicht anders zu helfen wissen.

Wie versucht ihr in Kitas entgegenzusteuern?

Wir versuchen den Kontakt zu halten mit Telefonaten, über die sozialen Medien, dort haben wir Lieder und Videos hochgeladen. Und ganz klassisch per Post: mit Rezepten, Mandalas, Bastelanleitungen und -unterlagen.

Alltag in der Pandemie bedeutet für uns Abstand, Masken, Desinfektion – was bedeutet er für Kinder?

Ich fand es erschreckend, wie schnell das Maske tragen der Erzieher:innen für die Kinder zur Normalität wurde. Die Freude als auch das Schimpfen über die Mimik wird dadurch eingeschränkt. Abstand ist bei uns nicht möglich, in den Arm nehmen ist so wichtig! Manche Konzepte waren einfach nicht tragbar. Das Problem ist, dass die sozialen Kontakte allgemein fehlen: Spielplätze sind teilweise gesperrt, die Vereine haben zu. Die Kinder sind gereizter, die festen Strukturen fehlen ihnen. Jede Veränderung wirkt sich bei ihnen aus.

Wie findest du die neuen Beschlüsse?

Die Öffnungen befürworte ich, denn alle leiden unter den Schließungen – Kinder und Eltern. Das Thema Kinderschutz muss in den Fokus gerückt werden. 

Hast du weitere Vorschläge oder realitätsnahe Lösungen und Langzeitstrategien?

Eine wichtige Schutzmaßnahme ist testen. Ich habe mich einweisen lassen und teste alle meine Mitarbeitenden, wenn sie das möchten, wöchentlich oder nach Bedarf. Mehr kann ich nicht machen. Das alles beruht auf Freiwilligkeit, aber das Personal will auch Sicherheit. Wir testen seit Dezember und das klappt gut. Das wichtigste ist für mich den Kindern so viel Normalität geben zu können wie nur möglich. Das gibt ihnen und auch den Eltern Sicherheit und Strukturen, die helfen den Alltag gut meistern zu können.

Bringt die Pandemie auch Vorteile? Gibt es Entwicklungen, die ohne Corona nicht stattgefunden hätten?

Bei dieser Frage habe ich lange überlegt. Der Zusammenhalt im Team ist gewachsen und die Wertschätzung von Seiten der Eltern ist gestiegen. Sie sind unfassbar dankbar. Es brauchte aber die Corona-Pandemie, damit sie zu der Erkenntnis kommen: „Ohne die Kita schaffen wir es nicht.“ Die Notbetreuung bedeutet auch kleinere Gruppen und bessere Förderung, aber dafür ist mehr Personal nötig.